Neuigkeiten aus der Diabetes-Forschung: Der Patient und seine Begleiterkrankungen stehen im Vordergrund

Unser Gesprächspartner ist Dr. Gerhard-W. Schmeisl - Stellvertretender Chefarzt des Fachbereichs Innere Medizin - Facharzt für Innere Medizin, Gefäßerkrankungen (Angiologe) und Diabetes

Herr Dr. med. Schmeisl
Foto Dr. Schmeisl

Was gibt es für neue Erkenntnisse aus der Diabetes-Forschung?

Bei der Behandlung des Typ-2-Diabetes steht nicht mehr nur das Normalisieren der Blutzuckerwerte im Fokus der Behandlung. Vielmehr werden bereits bestehende Erkrankungen, beispielsweise der Nieren und/oder von Herz und Kreislauf, mehr berücksichtigt, ebenso wie persönliche Einschränkungen von Fähigkeiten. Der Mensch wird in seiner Ganzheit betrachtet.

Weshalb?

So können Komplikationen verhindert und die Lebensqualität der an Diabetes-Typ-2 erkrankten Menschen optimiert werden. Doch auch die Patienten sind gefragt: Wir vereinbaren mit ihnen gemeinsame Behandlungszeile, die realistisch, erreichbar und auch messbar sind.

Was liegt dieser neuen Betrachtungsweise zugrunde?

Bereits 2018 verabschiedeten die europäische und die amerikanische Diabetesgesellschaften (EASD und ADA) neue Leitlinien. Darauf basierend wurde 2021 die Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) veröffentlicht. Diese empfiehlt, dass der Glukosestoffwechsel medikamentös therapiert wird, aber auch der Patient an der Entscheidungsfindung beteiligt und seine Teilhabe in relevanten Lebensbereichen weiterhin ermöglicht wird.

Welche Faktoren werden dabei betrachtet?

Der individuelle Lebensstil des Patienten, seine Begleit- und Folgeerkrankungen, sein Alter und Gewicht, der angestrebte Blutzucker-Langzeitwert, die psychischen Aspekte sowie seine kulturellen, sozialen und finanziellen Voraussetzungen.

Werden diese auch für die medikamentöse Behandlung herangezogen?

Unbedingt. Medikamente müssen sogar anhand dieser Faktoren ausgewählt werden. Denn nicht nur der Blutzucker-Langzeitwert (HbA1c), sondern der aktuelle körperliche und psychische Zustand des Einzelnen und sein Risiko etwa für schwere Herz-Kreislauf- oder Nieren-Erkrankungen bestimmen die Therapie-Strategie.

Was für eine Strategie meinen Sie?

Die Stufentherapie: Zunächst erhalten die Patienten mit Typ-2- Diabetes meist Tabletten (z.B. Metformin oder SGLT 2-Hemmer). Diese sollen die Blutzuckerwerte normalisieren. GLP-1-Rezeptoragonisten werden (s.c. Spritzen täglich oder wöchentlicH) besonders bei massivem Übergewicht eingesetzt. Insulin kommt immer dann dazu, wenn es erforderlich ist. Es steht nicht mehr an vorderster Stelle. Aber: Vor einer medikamentösen Therapie des Typ-2-Diabetes oder gleichzeitig spielen aber immer noch Lebensstil-Änderungen die entscheidende Rolle.

Welche sind das konkret?

Das sind regelmäßige Bewegung und eine angepasste, ausgewogene Ernährung.

Gilt dies auch für ältere Diabetes-Patienten?

Ja, ganz besonders für über 80-Jährige sind eine ausgewogene Ernährung und, soweit möglich, regelmäßige Bewegung die Basistherapie. Dabei gilt: Ausloten, was noch möglich, aber auch, was noch sinnvoll ist. Die Lebensqualität und das Verhindern von Komplikationen stehen hierbei im Vordergrund. Denn nicht selten haben ältere Menschen bereits erhebliche Gesundheitsprobleme und nehmen eine Vielzahl von Medikamenten ein.

Wie viele ältere Menschen erkranken an Diabetes?

Etwa jeder vierte Mensch über 80 Jahre in Deutschland hat einen Diabetes - in geriatrischen Einrichtungen ist es sogar jeder zweite.

Was kann man tun, um nicht an Diabetes-Typ-2 zu erkranken?

Da gibt es keine echten Neuigkeiten. Noch immer gilt: Die Ernährungsweise, das

Bewegungsverhalten und der Umgang mit Stress spielen eine entscheidende Rolle- aber auch die vererbte Anlage dazu. Die Deutsche Diabetes Stiftung empfiehlt unter anderem: Übergewicht abbauen, täglich 30 Minuten Bewegung, eine ballaststoffreiche Ernährung mit wenig Fett und Zucker, nicht rauchen, Stress reduzieren und ausreichend Schlaf.

 

Das Gespräch führte unsere Marketingmanagerin Kathrin Kupka-Hahn