Neueste Erkenntnisse zur Depressionsbehandlung

Prof. Bergemann und Referentinnen
© Kathrin Kupka-Hahn
Professor Dr. Dr. Niels Bergemann (rechts) hatte als Organisator des Symposiums namhafte Referentinnen für das Vortragsprogramm gewinnen können (v.l.): Prof. Dr. Christine Knaevelsrud, Dr. Christine Alstötter-Gleich und Prof. Dr. Sarah Kittel-Schneider, die eigens aus Irland anreiste. (Es fehlt Prof. Dr. Ulrich Hegerl.)

Mit der PRIVATKLINIK REGENA Bad Brückenau wird Anfang 2024 eine weitere Klinik für psychisch kranke Menschen eröffnen. Bei einem Pre-Opening Fachsymposium im Kursaal stellten Experten nun neueste Forschungsergebnisse unter anderem zu Wochenbettdepressionen, Perfektionismus und Online- Interventionen vor.

Es ist allgemein bekannt, dass Frauen in der Schwangerschaft und Stillzeit an einer Depression erkranken können. Was hingegen nur wenige wissen: die Väter auch. Mehr dazu und über weitere depressive Erkrankungen und deren Behandlung erfuhren die Besucher des Pre-Opening Symposiums der PRIVATKLINIK REGENA Bad Brückenau. Dieses fand im September im Kursaal des Staatsbades mit rund 70 teilnehmenden Ärzten, Psychologen und im Gesundheitswesen Tätigen aus der Region sowie aus ganz Deutschland statt. Organisiert hatte das Symposium Prof. Dr. med. Dr. rer. pol. Niels Bergemann, der Ärztliche Direktor der neuen Klinik, die zur Unternehmensgruppe HESCURO gehört.

Das Vortragsprogramm eröffnete mit Prof. Dr. med. Ulrich Hegerl eine Koryphäe auf dem Gebiet der Depressionsforschung. Mehr als 600 wissenschaftliche Arbeiten hat der Psychiater bislang veröffentlicht, zudem wurde er mehrfach ausgezeichnet. Seit 2019 trägt er die Johann Christian Senckenberg Distinguished Professorship (Ehrenprofessur) der Goethe-Universität Frankfurt am Main. In seinem Vortrag "Depressionsbehandlung - State of the art" ging Professor Hegerl unter anderem auf die Unterschiede zwischen Depression und Fatigue (Erschöpfungssyndrom) ein, erläuterte, welche Verhaltensweisen eine Depression verstärken und wie Antidepressiva sinnvoll eingesetzt werden können. Als dessen Vorsitzender stellte er außerdem die Stiftung Deutsche Depressionshilfe vor.

Begriff Burnout irreführend

Professor Hegerl führte weiterhin aus, dass der in Deutschland weit verbreitete Begriff "Burnout" irreführend sei. Bereits im 19. Jahrhundert habe der Neurologe George Beard den Begriff "Neurasthenie" als Krankheitsbild geprägt, dessen Leiden er auf die zivilisatorischen Errungenschaften zurückführte. "Der Begriff Burnout hat aber den einen positiven Effekt, dass sich die Menschen Hilfe holen", sagte er. Denn oftmals seien bei einem Menschen, der an "Burnout" erkrankt sei, meist mehrere Kriterien einer Depression erfüllt. Abschließend gab Professor Hegerl den Fachkollegen praktische Tipps unter anderem zur Therapie der Depression und zur Kommunikation mit depressiv Erkrankten.

Mit Prof. Dr. phil. Christine Knaevelsrud von der Freien Universität Berlin hatte Professor Bergemann eine Expertin in Sachen Digitalisierung in der Psychotherapie gewinnen können. Schon vor 20 Jahren betreute die Psychologische Psychotherapeutin traumatisierte Kriegs- und Folteropfer – online und in arabischer Sprache. Dabei stellte sie fest: "Wir erreichen Menschen, die wir bislang nicht erreicht hatten." Seither hat die Wissenschaftlerin an zahlreichen Studien und Untersuchungen mitgewirkt und unter anderem Behandlungsprogramme für psychisch Traumatisierte sowie internetbasierte Interventionen – geplante und gezielt eingesetzte Maßnahmen – mitentwickelt.

Betroffene online erreichen

In Ihrem Vortrag ging sie vor allem auf Studien zu Online-Behandlungen ein – mit erstaunlichen Ergebnissen: "Sie wirken im Grunde bei allen … eher jedoch bei älteren und … höher belasteteren Menschen." Als größten Treiber, weshalb Betroffene eine Online-Therapie machen, nannte Professor Knaevelsrud das Autonomiebedürfnis der Menschen, den Wunsch, die Therapie eigenständig zu gestalten. "Ich glaube, dass Online-Angebote ein Weg sein können, um mit Betroffenen in Kontakt zu kommen." Mittlerweile gäbe es mit den digitalen Gesundheitsanwendungen, den sogenannten DIGAs, auch digitale Angebote der Krankenkassen, die verordnet werden können.

Für die Zukunft sieht Professor Knaevelsrud noch viel Potenzial vor allem in der digitalen Diagnostik. Handys und Smartwatches beispielsweise würden eine hochfrequente Befragung ermöglichen und über das Tracking der Aktivitäten wichtige Erkenntnisse liefern, die bislang aufwendig im Labor erfasst werden müssen. "Digitale Tools geben uns mehr Aufschluss und können uns helfen", lautete ihr Fazit.

Nicht nur Mütter erkranken

Die Digitalisierung beziehungsweise Künstliche Intelligenz (KI) spielte auch im Vortrag "Mutterglück und Mutterleid – Behandlungsoptionen postpartaler Depressionen" von Prof. Dr. med. Sarah Kittel-Schneider eine Rolle. "Ich habe die Hoffnung, dass wir mit KI künftig Biomarker feststellen können, die auf entsprechende Erkrankungen hinweisen. Aber das wird noch gut 20 Jahre dauern", sagte sie. Ihr Fachgebiet sind die peripartalen Depressionen, psychische Erkrankungen in Schwangerschaft und Stillzeit beziehungsweise bis zum Ende der Stillzeit. An ihnen können nicht nur die Mütter erkranken, sondern auch die Väter mit ihren hormonellen Veränderungen. "Auf diesem Gebiet ist viel mehr Grundlagenforschung erforderlich", betonte die Wissenschaftlerin.

Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie war viele Jahre als stellvertretende Direktorin an den Kliniken für Psychiatrie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Frankfurt und Würzburg tätig und hat im Juni den Lehrstuhl für Psychiatrie am University College Cork in Irland übernommen. Ebenso war sie an verschiedenen Studien und Forschungen unter anderem zu biologischen Risikofaktoren bei der peripartalen Depression und zur Prävention psychischer Erkrankungen von Kindern beteiligt. Zuletzt hat sie die europäischen Leitlinien für die Wochenbett-Depression mitentwickelt, die kurz vor der Finalisierung stehen.

Mehr Hilfe erforderlich

Professor Kittel-Schneider bemängelte, dass es in Deutschland kein flächendeckendes Screening für werdende Eltern gibt. Dabei beginne die Prävention psychischer Erkrankungen bei Kindern bei deren Eltern. Sollten diese etwa psychische Vorerkrankungen oder kindliche Traumatisierungen haben, würden sie mit der Geburt eines Kindes oftmals ein höheres Risiko aufweisen, an einer peripartalen Depression zu erkranken. "Eltern benötigen Hilfe, sowohl aus dem Familiensystem als auch darüber hinaus," lautete die Botschaft der Wissenschaftlerin. Einzelne Angebote wie etwa das Babylotsen-Projekt in Würzburg und ein App-basiertes Elternscreening gäbe es bereits. Abschließend stellte Professor Dr. Kittel-Schneider Behandlungsmethoden der Schwangerschaftsdepressionen vor.

Das Programm des Symposiums rundete Dr. phil. Christine Altstötter-Gleich mit dem Vortrag "Perfektion und Depression" ab. In ihren Ausführungen definierte sie, was genau Perfektionismus ist und wie dieser in eine Depression führen kann. "Die Betroffenen stellen hohe Ansprüche an sich selbst und andere … haben Angst vor dem eigenen Versagen … und entwickeln bei Misserfolgen verstärkt negative Gefühle," erläuterte die Psychologin, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Rheinland-Pfälzischen Technische Universität Kaiserslautern-Landau tätig ist.

Regelmäßige Symposien geplant

"Es waren sehr gute Vorträge, fachlich hervorragend, unterhaltend, man konnte sie sehr gut verstehen", fasste nach dem Symposium Dr. Juliane Hellhammer aus Trier ihre Eindrücke zusammen. Mit ihrer Einschätzung war sie nicht allein. Auch die Leitende Psychologin der Hemera Klinik Bad Kissingen, Carola Beatrix Sauer, kam regelrecht ins Schwärmen. "Ich kann für die Praxis einen sehr guten Bezug ableiten", betonte sie. Organisator Prof. Dr. Dr. Niels Bergemann freute sich, dies zu hören und stellte in Aussicht: "Wir werden jetzt jedes Jahr ein solche Symposium veranstalten."

Fotos (von Kathrin Kupka-Hahn):