Mit Speckstein gegen den Perfektionismus

© Kathrin Kupka-Hahn

Unsere Ergotherapeutin Katja Reith ist kürzlich auf ein ganz besonderes Werkstück aufmerksam geworden: auf einen Speckstein mit eingesteckten Murmeln. Gestaltet hat ihn ein Patient in unserer Kreativwerkstatt. "Er ist dabei intuitiv, ohne Plan und Ziel vorgegangen und hat auch die Löcher genutzt, die beim Bearbeiten entstanden sind", gerät sie regelrecht ins Schwärmen. Katja Reith ist seit mehr als 15 Jahren in der HESCURO KLINIK Bad Bocklet tätig und auch ausgebildete Kunsttherapeutin.

Das Anfertigen eines Werkstücks ist Teil der Kunsttherapie, die vor allem Patientinnen und Patienten der Psychosomatischen Abteilung in der Regel einmal pro Woche besuchen. "In unserer Kreativwerkstatt dürfen sie frei wählen, was sie machen wollen - ein Seidentuch bemalen, einen Korb flechten oder eben einen Speckstein gestalten ", nennt sie einige Beispiele. Allerdings denken die Patientinnen und Patienten häufig als erstes daran, ein Mitbringsel für Freunde oder Lebenspartner anzufertigen. Dabei ist das Ziel ein ganz anders. "Es geht uns um die Verbesserung der Selbstfürsorge und um den Aufbau von Selbstvertrauen, dass der Patient erkennt: Ich kann etwas", erklärt die Kunsttherapeutin.

Die Patientinnen und Patienten gestalten in der wöchentlichen, 90-minütigen Therapiestunde etwas für sich selbst, wobei die meisten anfangs sagen: Ich brauch doch nix. "Viele gehen später nach Hause und haben tatsächlich etwas für sich", sagt Katja Reith. Ein Erinnerungsstück oder bestenfalls ein neues Hobby. Eine weitere Hürde, an der die Kunsttherapeutin und das Team arbeiten, ist das Denken vieler: Ich muss ein Kunstwerk schaffen, irgendwelchen festgelegten Normen entsprechen. "Doch genau das Gegenteil wollen wir erreichen ", sagt Katja Reith.

In der Kunstwerkstatt hat jedes Medium ein Ziel. "Der Speckstein beispielsweise ist gegen den Perfektionismus und steht für das Loslassen. Er ist das Gegenteil zum Korbflechten, welches für Struktur steht." Die Kunsttherapeutin lässt Menschen, die ein Werkstück aus Speckstein schaffen wollen, zunächst einen Rohling aussuchen. Anschließend rät sie dazu, diesen abzutasten. "Was stört, sollen sie wegschleifen", erzählt sie. So wird nicht nur die gegenständliche Be- und Verarbeitung in Gang gesetzt. "Auf diese Weise entstehen sehr organische Formen." Doch die Steinbearbeitung kann noch mehr. Sie löst auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Frustrationstoleranz aus. "Denn jeder Stein hat seinen eigenen Kopf", fügt Katja Reith mit einem Augenzwinkern hinzu.

Bei dem Patienten, der diesen besonderen Speckstein geschaffen hat, ist aber noch mehr passiert. "Er hat Eigeninitiative gezeigt und sich die Murmeln für die Löcher extra mitbringen lassen", sagt die Kunsttherapeutin und fügt hinzu: "Einen so ausdrucksstarken Stein gestalten nicht viele. Deshalb hat sie beim Patienten auch nachgefragt, was er mit diesem Werkstück ausdrücken möchte. "Der Stein steht für das Starre und Feste im Leben, während die eingesteckten Murmeln das Dynamische in der Starre symbolisieren sollen. Ich bin mächtig, mich zu bewegen, auch wenn vieles eingefahren ist", lautete seine Antwort. Katja Reith freute sich, dies zu hören.

 

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