Long-Coid Behandlung. Copyright: MohamadFaizal | stock.adobe.com | 458433284

Psychische COVID-19-Folgeerkrankungen

Das erstmals 2019 beschriebene neue Coronavirus-Typ 2 (severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2, SARS-CoV.2) führte im Frühjahr 2020 zu der offiziell durch die World Health Organization (WHO) erklärten und bis heute anhaltenden COVID-19(coronavirus disease 2019)-Pandemie. Nachdem diese zunächst primär als schwere Atemwegsinfektion angesehen wurde, zeigte sich rasch, dass das neue Virus zu einer Multiorganerkrankung mit sehr vielgestaltigen klinischen Manifestationen und mit sehr unterschiedlichen, auch langanhaltenden Verläufen nach der akuten Infektionsphase führen kann.

Psychische Folgen während der COVID-19-Pandemie

Betrachtet man die psychischen Folgen von COVID-19, so bedarf es der Unterscheidung zwischen den akut auftretenden Folgeproblemen etwa im Zusammenhang mit der sozialen Isolierung oder Einsamkeit bei allein lebenden Menschen, der Belastung durch die Ungewissheit der Pandemie oder der Problematik unterbrochener ambulanter Behandlungsmöglichkeiten psychisch kranker Menschen während des Lockdowns aufgrund der Pandemie. Auf diese Problemsituation wurde bereits früh in der Pandemie hingewiesen.

Es zeigt sich in mehreren Studien eine deutliche Übersterblichkeit bei einsamen Menschen und, umgekehrt, eine verbesserte Überlebenswahrscheinlichkeit bei sozial gut eingebundenen Patienten mit einem guten sozialen Umfeld. Einsamkeit und soziale Isolierung stellen einen erheblichen Stressor dar, der in der Pandemie im Rahmen von Quarantänemaßnahmen und Isolierungserfordernissen häufig erlebt wurde.

Long/Post-COVID

Wie von anderen Virusinfektionen bekannt, finden sich zunehmend COVID-19-Erkrankte mit protrahierten, langdauernden klinischen Symptomen und subjektiven Beschwerden nach der akuten Infektionsphase. Neuropsychiatrische Spätfolgen sind auch aus vergangenen Epidemien mit humanen Coronaviren (severe acute respiratory syndrome, SARS; middle eastern respiratory syndrome, MERS) bekannt.

Nach einer überstandenen SARS-CoV-2-Infektion finden sich bei etwa einem Drittel der Patienten noch Wochen und Monate danach gesundheitliche Spätfolgen. Langanhaltende Symptome, die mehr als vier Wochen nach einer durchgemachten COVID-19-Infektion fortbestehen, sich verschlechtern oder neu auftreten, werden als „Long-Covid“ bezeichnet. Beschwerden, die noch nach drei Monaten bestehen und mindestens zwei Monate lang anhalten oder wiederkehren, werden gemäß der aktuellen Leitlinie als „Post-COVID-Syndrom“ bezeichnet. Es handelt sich nicht um eindeutig abgrenzbare Krankheitsentitäten, sondern es gibt fließende Übergänge; wird nicht explizit zwischen Long- und Post-COVID-Syndrom differenziert, wird von „Long/Post-COVID“ gesprochen.

Nach bisherigen Erkenntnissen steigt das Risiko für Langzeitfolgen mit dem Schweregrad der Erkrankung an COVID-19. Außerdem geht man davon aus, dass Frauen häufiger von Long/Post-COVID betroffen sind als Männer. Darüber hinaus scheint eine Reihe von vorbestehenden Gesundheitsrisiken und Erkrankungen das Risiko für Langzeitfolgen von COVID-19 zu erhöhen wie etwa Übergewicht und Diabetes. Auch scheinen die unterschiedlichen Virusvarianten bei der Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung eines Long/Post-COVID-Syndroms eine Rolle zu spielen.

Symptomatik

Die gesundheitlichen Langzeitfolgen einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 umfassen Beeinträchtigungen der körperlichen, geistigen und psychischen Gesundheit, welche die Funktionsfähigkeit im Alltag und die Lebensqualität einschränken. Die berichteten Symptome sind sehr verschieden. Sie können einzeln oder in Kombination auftreten und unterschiedlich lange andauern. Ein einheitliches Krankheitsbild Long-COVID oder Post-COVID existiert nicht.

Zu den häufigsten Beschwerden zählen Müdigkeit, Erschöpfung und eingeschränkte Belastbarkeit (Fatigue), Kopfschmerzen und Aufmerksamkeitsstörungen, Haarverlust, Dyspnoe, Geruchs- und Geschmackssinnstörungen, Kurzatmigkeit und Gelenkschmerzen. Zu weiteren neuropsychiatrischen Störungen zählen Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Angst und Depression, Schmerzen und Schlafstörungen. Zu den häufigeren Symptomen gehören auch sexuelle Funktionsstörungen wie Libidoverlust und Ejakulationsstörungen.

Fatique-Symptomatik

Am häufigsten wird eine mehr oder weniger ausgeprägte Fatigue-Symptomatik nach einer durchgemachten COVID-19-Infektion beschrieben, unter der nach manchen Studien über 50 % der Patienten leiden. Auch diese Langzeitfolge ist bereits aus der SARS-Epidemie bekannt. Es werden ähnliche immunologische Mechanismen diskutiert wie beim Chronischen Fatigue-Syndrom (synonym: Myalgische Encephalomyelitis, kurz ME/CFS) bekannt sind. Nur in seltenen Fällen entwickelt sich nach einer COVID-19-Infektion das Vollbild einer ME/CFS, das sich mit einer schweren Fatique-Symptomatik mit Belastungsintoleranz, kognitiven Störungen und Schmerzen zeigt, die über sechs Monate anhält. Bei lang anhaltender Symptomatik bedarf es einer detaillierten diagnostischen Abklärung.

Neurokognitive Beeinträchtigungen

Bis zu 20% der Patienten weisen zwölf oder mehr Wochen nach der bestätigten COVID-19- Diagnose eine kognitive Beeinträchtigung auf. Sowohl das Ausmaß als auch das Profil der neu erworbenen neurokognitiven Beeinträchtigungen nach COVID-19 können sehr heterogen sein und alle kognitiven Bereiche – Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Exekutivfunktionen (planen, entscheiden etc.), Sprache – betreffen und auch nach mildem Verlauf auftreten. Sie können bis zu zwölf Monate oder länger anhalten.

Schlafstörungen treten etwa bei einem Drittel aller Patienten nach einer SARS-CoV-2-Infektion auf, wobei es neben Schlaflosigkeit auch zu übermäßigem Schlafbedürfnis kommt. Auch finden sich infolge einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 vermehrt Depressionen und Angststörung. Auch von posttraumatischen Belastungsstörungen infolge der akuten Infektion und dem Behandlungsregime wird berichtet.

Ursachen für Long/Post-COVID

Die genauen Ursachen für Long/Post-COVID sind bislang nicht bekannt. Eine Persistenz des Virus bzw. von Virusbestandteilen über Wochen und Monate könnte eine Rolle spielen. Weitere mögliche virusinduzierte Pathomechanismen sind andauernde postinfektiöse strukturelle Gewebeschäden, inklusive Endothelschaden und gestörte Mikrovaskularisierung, Hyperkoagulabilität und Thrombosen, chronische Immundysregulation mit (Hyper-)Inflammation bzw. Autoimmunität oder „low-grade“-Inflamation sowie Dysregulation des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS). Ferner wurden gewebsschädigungsbedingte, fokale und diffuse, direkte und indirekte Veränderungen des Metabolismus in verbundenen Hirngebieten als Ursachen kognitiver Leistungsminderungen beim Long/Post-COVID-Syndrom in Studien nahegelegt. Neben virusinduzierten Veränderungen können auch Nebenwirkungen der COVID-19-Therapie zu Langzeitfolgen führen (Koczulla et al. 2022, Gerhard et al. 2022, Sudre et al. 2021, Taquet et al. 2021).

Therapieoptionen

Während es nicht selten zur Spontanremission der Beschwerden kommt, hat sich gezeigt, dass bei vielen Patienten mit Long/Post-COVID-Syndrom eine spezifische Therapie erforderlich ist. Dabei richtet sich die Behandlung nach den jeweils besonderen gesundheitlichen Problemen der betroffenen Person. Da es zurzeit keine kausale Behandlung gibt, steht als Behandlungsziel im Vordergrund, die Beschwerden zu lindern.

Konzeptorientiert geht es bei der Behandlung von psychischen Covid-19-Folgeerkrankungen zunächst darum, manifeste psychische Erkrankungen wie Depression, Angststörungen, Schlafstörungen oder posttraumatische Belastungsstörung in den Fokus der Behandlung zu nehmen. Hier kann es um die Bewältigung von intensivmedizinischer Therapie im Rahmen der akuten Corona-Erkrankung gehen, aber auch um die individuellen zugrundeliegenden Stressoren wie Einsamkeit, Verlust von Vitalität, Initiative und Autonomieerleben, wirtschaftliche oder Gesundheitssorgen u. v. m. Auch sexuelle Funktionsstörungen können eine Rolle spielen.

Kognitive Verhaltenstherapie

Da derzeit noch wenig überprüfte Therapiekonzepte für Fatigue bei Long/Post-COVID vorliegen, orientiert sich die Behandlung an Konzepten zur Fatigue bei anderen Erkrankungen. Psychotherapie und körper- und bewegungsbasierte Interventionen sowie Pharmakotherapie sind vor diesem Hintergrund aussichtsreich. Belegt sind zudem gute Therapieerfolge bei kognitiver Verhaltenstherapie, insbesondere bei komorbider Angststörung oder Depression. Ziel der Therapie sollte eine Symptomlinderung sowie die Vermeidung einer Chronifizierung sein. Dazu gehören die Förderung des Schlafs, Schmerztherapie, Kreislaufsupport, Maßnahmen zur Stressreduktion und Entspannung, Stärkung von persönlichen Ressourcen, die Unterstützung eines adäquaten Coping-Verhaltens, d. h. weder Überforderung noch inadäquate Vermeidung von Aktivitäten, sowie die Unterstützung durch geeignete Hilfsmittel und sozialmedizinische Maßnahmen. Je nach individueller Symptomatik – körperlich, kognitiv und/oder emotional – kommen unterschiedlich gewichtet zusätzlich eine kontrollierte Anleitung zu körperlicher Aktivität bzw. dosiertem körperlichem Training, ein Training der kognitiven Leistungsfähigkeit, und/oder eine psychotherapeutische bzw. psychopharmakologische Behandlung zum Einsatz. Körperlicher Überbeanspruchung mit möglicher nachfolgender Symptomverschlechterung („postexertionelle Malaise“, PEM) sollte durch wohldosierte, supervidierte körperliche Aktivität bzw. körperliches Training und individuell angemessenes Energiemanagement („Pacing“) vorgebeugt werden.

Schlafstörungen bei Long/Post-Covid

Bei Schlafstörungen im Rahmen von Long/Post-COVID ist eine symptomatische Behandlung geboten, um das Tagesbefinden zu verbessern und um gestörtem Schlaf als immunologischer Risikokonstellation entgegenzuwirken. Bei Tagesmüdigkeit bzw. nichterholsamem Schlaf sollte eine polygraphische Screeningdiagnostik erfolgen. Depressionen und Angststörungen im Zusammenhang mit Long/Post-COVID werden leitliniengemäß unter Berücksichtigung komorbider Long/Post-COVID assoziierter Störungen behandelt.

Bausteine der Long/Post-Covid-Behandlung

Das Konzept für Patienten mit einem Long/Post-COVID-Syndrom sieht unter anderem folgende, dem individuellen Beschwerdebild angepasste Therapiebausteine vor:

  • Psychotherapie
  • Regelmäßige ärztliche Kontroll-Untersuchungen
  • Physiotherapie
  • Sporttherapie mit angepasstem, schrittweisem Kraft- oder Ausdauertraining
  • Ergotherapie zum behutsamen Training von Belastbarkeit
  • Hirnleistungs- und Konzentrationstraining
  • Pharmakotherapie

Im Rahmen internistischer Long/Post-COVID-Symptome ist die medizinische Versorgung hausintern oder konsiliarisch gesichert.

Der Kurgarten von Bad Brückenau in der Nähe der PRIVATKLINIK REGENA. Copyright: Johannes | stock.adobe.com | 342382823